Computerimplementierte Erfindungen beim EPA

In den letzten Jahrzehnten haben sich die digitalen Technologien rasant entwickelt, und heute sind „computerimplementierte“ oder „softwarebezogene“ Erfindungen in fast allen Bereichen der Technik zu finden. Wie in jedem anderen Bereich der Technik versuchen Erfinder daher, ihre Innovationen durch Patente zu schützen. Bei der Erlangung von Patentschutz für computerimplementierte oder softwarebezogene Erfindungen beim Europäischen Patentamt (EPA) sind jedoch bestimmte Besonderheiten zu beachten und spezifische Anforderungen zu erfüllen. Diese Erfordernisse sind entweder im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) selbst festgelegt oder beruhen auf der Auslegung der EPÜ-Bestimmungen, die in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts sowie in den Prüfungsrichtlinien entwickelt wurde.

 

Für computerimplementierte Erfindungen hat sich in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ein methodischer Rahmen entwickelt, der als „Zwei-Hürden-Ansatz“ bezeichnet wird und der durch die Grundsatzentscheidung G 1/19 der Großen Beschwerdekammer erneut bestätigt wurde (siehe unsere ausführliche Analyse und Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse hier: https://www.dompatent.de/de/patentierung-computerimplementierter-simulationen-bei-dem-epa/). Dieser zweifache Test umfasst zum einen die Schutzfähigkeitshürde und zum anderen die Patentierbarkeitshürde.

Erste Hürde – Schutzfähigkeit

Um patentierbar zu sein, muss jede computerimplementierte Erfindung zunächst die „Schutzfähigkeitshürde“ überwinden, die den Ausgangspunkt für die Beurteilung der Patentierbarkeit jedes Gegenstands nach dem EPÜ bildet. Die Schutzfähigkeitshürde umfasst zwei Erfordernisse. Gemäß der ersten Voraussetzung muss es sich um eine „Erfindung“ auf einem beliebigen Gebiet der Technik handeln, d. h. der beanspruchte Gegenstand darf nicht unter die „Nichterfindungen“ gemäß Art. 52(2) EPÜ fallen.

Die nicht erschöpfende Liste der „Nicht-Erfindungen“ definiert in Art. 52(2) EPÜ umfasst Entdeckungen, wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden, ästhetische Schöpfungen, Schemata, Regeln und Methoden für geistige Tätigkeiten, Spiele oder Geschäfte sowie Computerprogramme und die Darstellung von Informationen.

Dieser Ausschluss wird jedoch durch Art. 52(3) EPÜ begrenzt auf Gegenstände und Tätigkeiten, die „als solche“ beansprucht werden. Diese Bestimmung spiegelt im Wesentlichen die dem europäischen Patentsystem zugrunde liegende Rechtstradition wider, wonach der Patentschutz technischen Schöpfungen vorbehalten sein sollte. So wird ein Anspruch, der lediglich auf ein Computerprogramm als solches gerichtet ist, als „abstrakter“ Gegenstand ohne jeglichen technischen Charakter betrachtet und ist daher gemäß Art. 52(2)(c) und (3) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Allerdings impliziert Art. 52(3) EPÜ jedoch auch, dass ein technisches Merkmal für die Schutzfähigkeit ausreichend ist. Wenn der beanspruchte Gegenstand auf technische Mittel gerichtet ist oder diese verwendet, handelt es sich um eine Erfindung im Sinne von Art. 52(1).

Mit anderen Worten: Die Hürde der Schutzfähigkeit kann überwunden werden, indem ein Gegenstand definiert wird, der auf ein technisches Verfahren oder auf die interne Funktionsweise des Computers selbst oder seiner Schnittstellen gerichtet ist. Nach den Entscheidungen T 258/03, T 424/03 oder G 3/08 hat jedes Verfahren, das den Einsatz technischer Mittel beinhaltet, oder jedes technische Mittel selbst technischen Charakter und stellt somit eine Erfindung im Sinne von Art. 52(1) EPÜ dar.

Wie man sieht, ist die Schutzfähigkeitshürde recht niedrig und kann recht einfach überwunden werden: Ansprüche, die z.B. auf ein „computerimplementiertes Verfahren“, ein „computerlesbares Speichermedium“ oder eine „Vorrichtung“ gerichtet sind, können nicht nach Art. 52(2) und (3) EPÜ beanstandet werden.

Der Ausschluss gilt jedoch auch nicht für Ansprüche, die auf Computerprogramme mit technischem Charakter gerichtet sind.

Das Erfordernis des technischen Charakters oder der „Technizität“ ist in mehreren Bestimmungen des EPÜ enthalten (vgl. z.B. T 1173/97, T 641/00, T 258/03). Abgesehen von Art. 52 (1) EPÜ, in dem es heißt: „Europäische Patente werden für alle Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt„, beziehen sich auch einige Bestimmungen der Ausführungsordnung des EPÜ implizit auf das Erfordernis des technischen Charakters. Nach den Regeln 42(1) und (3) EPÜ muss die Erfindung insofern „technischen Charakter“ haben, als sie sich auf ein technisches Gebiet beziehen muss (Regel 42(1)(a) EPÜ), ein technisches Problem betreffen muss (Regel 42(1)(c) EPÜ) und technische Merkmale aufweisen muss, anhand derer der Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, im Anspruch definiert werden kann (Regel 43(1) EPÜ).

Damit ein Computerprogramm technischen Charakter hat, muss es eine „weitere technische Wirkung“ haben, wenn es auf einem Computer ausgeführt wird. Eine solche „weitere technische Wirkung“ ist eine technische Wirkung, die über die „normalen“ physikalischen Wechselwirkungen zwischen dem Programm (Software) und dem Computer (Hardware), auf dem es ausgeführt wird, hinausgeht (vgl. z.B. T 1173/97, G 3/08, GL G-II, 3.6). So ist jeder Gegenstand, der auf die Steuerung eines technischen Prozesses oder auf die interne Funktionsweise des Computers selbst oder seiner Schnittstellen gerichtet ist, ein Beispiel für weitere technische Wirkungen, die einem Computerprogramm technischen Charakter verleihen. Nach den Prüfungsrichtlinien des EPA gehören zu den Beispielen für Computerprogramme mit technischem Charakter z. B. ein Verfahren zur Steuerung eines Antiblockiersystems in einem Auto, die Bestimmung von Emissionen durch ein Röntgengerät, die Komprimierung von Videos, die Wiederherstellung eines verzerrten digitalen Bildes oder die Verschlüsselung der elektronischen Kommunikation, die alle eine weitere technische Wirkung haben, wenn sie auf einem Computer ausgeführt werden (vgl. GL G-II, 3.6.1).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schutzfähigkeitshürde durch Ansprüche überwunden werden kann, die auf technische Mittel (z. B. ein computerimplementiertes Verfahren, ein computerlesbares Speichermedium, ein Gerät) gerichtet sind oder diese verwenden (vgl. z. B. T 258/03) oder durch Ansprüche, die auf Computerprogramme gerichtet sind, die eine „weitere technische Wirkung“ erzeugen, wenn sie auf einem Computer ausgeführt werden (vgl. z. B. T 1173/97, G 3/08).

Zweite Hürde – Patentierbarkeit

Die zweite Hürde bezieht sich auf die Patentierbarkeit des beanspruchten Gegenstands, die in der Praxis, insbesondere im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit, schwieriger zu überwinden sein könnte als die Schutzfähigkeitshürde.

Während die Schutzfähigkeit ein absolutes Erfordernis ist und daher ohne Bezugnahme auf den Stand der Technik beurteilt wird, dient der Stand der Technik im Hinblick auf die Hürde der Patentierbarkeit als Ausgangspunkt und Referenz für die Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit der beanspruchten Erfindung und damit für die Überwindung der Hürde der Patentierbarkeit.

Da computerimplementierte Erfindungen jedoch häufig eine Mischung aus technischen und nichttechnischen Merkmalen umfassen, stellt sich die Frage, welche Merkmale bei der Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden.

Wie in der Entscheidung T 641/00 festgestellt und in G 1/19 erneut bestätigt wurde, ist eine Mischung aus technischen und „nichttechnischen“ Merkmalen in einem Anspruch zulässig, wobei die nichttechnischen Merkmale sogar einen dominierenden Teil des beanspruchten Gegenstands bilden können. Erfinderische Tätigkeit kann sich jedoch nur auf technische Merkmale stützen, die daher im Anspruch klar definiert sein müssen.

In der Entscheidung T 154/04 wurde dargelegt, dass nichttechnische Merkmale, soweit sie nicht mit dem technischen Gegenstand des Anspruchs interagieren, um ein technisches Problem zu lösen, d. h. nichttechnische Merkmale „als solche“, keinen technischen Beitrag zum Stand der Technik leisten und daher bei der Beurteilung von erfinderischer Tätigkeit außer Acht gelassen werden.

Bei computerimplementierten Erfindungen wird die erfinderische Tätigkeit nach dem COMVIK-Ansatz beurteilt, der in der Entscheidung T 641/00 festgelegt und in der Entscheidung G 1/19 bestätigt wurde. Dieser Ansatz ist eine spezielle Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes auf „gemischte Erfindungen“.

Die folgenden Schritte skizzieren den COMVIK-Ansatz (vgl. GL G-VII, 5.4):

Im ersten Schritt des COMVIK-Ansatzes werden die Merkmale, die zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, auf Grundlage der im Zusammenhang mit der Erfindung erzielten technischen Wirkungen bestimmt. Mit anderen Worten: Im ersten Schritt werden alle Merkmale ermittelt, die zum technischen Charakter der Erfindung beitragen. Dazu können insbesondere auch Merkmale gehören, die für sich genommen nicht technisch sind, d.h. unter die Ausschlüsse des Art. 52 (2) EPÜ fallen, aber im Zusammenhang mit der Erfindung dazu beitragen, eine technische Wirkung zu erzielen, die einem technischen Zweck dient, und damit zum technischen Charakter der Erfindung beitragen.

In einem zweiten Schritt wird auf Grundlage der in Schritt 1 ermittelten Merkmale, die zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, der nächstliegende Stand der Technik ermittelt.

Im dritten Schritt werden die Unterschiede zum nächstliegenden Stand der Technik ermittelt. Anhand dieser Unterschiede werden die Merkmale ermittelt, die einen technischen Beitrag leisten, und diejenigen, die dies nicht tun. Die Ermittlung der Merkmale, die einen technischen Beitrag leisten, basiert auf der Bestimmung der technischen Effekte dieser Unterschiede im Kontext des Anspruchs als Ganzes.

Gibt es keine Unterschiede (nicht einmal einen nichttechnischen), wird der Anspruch wegen mangelnder Neuheit beanstandet.

Gibt es Unterschiede, die aber keinen technischen Beitrag leisten, so wird der Anspruch im Hinblick auf mangelnde erfinderische Tätigkeit beanstandet, da der Gegenstand eines Anspruchs nicht erfinderisch sein kann, wenn er keinen technischen Beitrag zum Stand der Technik leistet.

Enthalten die Unterschiede jedoch Merkmale, die einen technischen Beitrag leisten, so wird die objektive technische Aufgabe auf Grundlage der durch diese Merkmale erzielten technischen Wirkungen formuliert.

Zudem, falls die Unterschiede jedoch Merkmale umfassen, die keinen technischen Beitrag leisten, so können diese Merkmale oder eine durch die Erfindung erzielte nichttechnische Wirkung bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe als Teil dessen, was dem Fachmann „gegeben“ ist, verwendet werden, insbesondere als eine zu erfüllende Randbedingung.

Im letzten Schritt wird geprüft, ob die beanspruchte technische Lösung der objektiven technischen Aufgabe für den Fachmann nicht naheliegend ist. Ist dies zu bejahen, so beruht der Anspruch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Hürde der Patentierbarkeit überwunden werden kann, wenn der beanspruchte Gegenstand einen nicht naheliegenden technischen Beitrag zum Stand der Technik liefert.

Wichtigste Schlussfolgerungen

Wenn es darum geht, ein europäisches Patent für eine computerimplementierte Erfindung zu erhalten, könnten die folgenden Schlüsselaspekte die Erfolgsaussichten erheblich erhöhen:

  1. Der Anspruch sollte so definiert sein, dass er auf die Verwendung von technischen Mitteln gerichtet ist oder diese spezifiziert (z. B. den Anspruch auf ein „computerimplementiertes Verfahren“, ein „computerlesbares Speichermedium“ oder eine „Vorrichtung“ richten) und/oder auf solche Merkmale, die eine „weitere technische Wirkung“ erzielen
  2. Das technische Problem, das durch die computerimplementierte Erfindung gelöst wird, sollte angegeben werden
  3. Alle Merkmale der Erfindung, die zu ihrem technischen Charakter beitragen (d. h. zur technischen Lösung einer technischen Aufgabe beitragen, indem sie eine technische Wirkung erzielen), sollten einzeln angegeben werden
    • Diese technischen Merkmale sollten in den Anspruch aufgenommen werden
  4. Die technischen Merkmale der Erfindung sollten in der Beschreibung zusammen mit ihren technischen Wirkungen erläutert werden
    • Eine vollständige Lösung des technischen Problems, das durch die Erfindung gelöst wird, sollte in der Beschreibung skizziert werden
      • Spezifische technische Umsetzungen und/oder Anwendungen der beanspruchten Erfindung auf einem bestimmten Gebiet der Technik sollten in der Beschreibung als Rückfallpositionen beschrieben werden