Neue EPO Guidelines

[25.02.2022 – Thomas Henzler & Dr. Stephan Milles]

Die wichtigste Aktualisierungen:

Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, die am 1. März 2022 in Kraft treten.

Am 1. März 2022 werden die jährlich aktualisierten Richtlinien für die Prüfung des Europäischen Patentamts in Kraft treten. Diese Richtlinien geben Hinweise für die Praxis der Verfahren vor dem EPA nach dem Europäischen Patentübereinkommen und seiner Ausführungsordnung.

Im folgenden Artikel werden die wichtigsten Änderungen der aktualisierten Prüfungsrichtlinien behandelt, mit einem kompakten Überblick über die Änderungen in den jeweiligen Teilen A-H.

Änderungen Teil A (Formalprüfung)
Abschnitt A-III, 5.3, der sich mit der Einreichung der Erfindernennung befasst, wurde aktualisiert.

Ist der Anmelder nicht der (alleinige) Erfinder, so ist die Erfindernennung in einem gesonderten Dokument einzureichen, das das Land und den Wohnsitz des Erfinders enthält und vorzugsweise die Postleitzahl umfasst. In der aktualisierten Fassung heißt es nun ausdrücklich, dass Land und Wohnsitz des Erfinders auch die des Anmelders sein können.

Darüber hinaus wurde im Hinblick auf die neue Regel 19 EPÜ (in Kraft seit 01.04.2021), die durch die Streichung des Verfahrens zur Übermittlung der Erfinderbenennung geändert wurde, der entsprechende Teil der Richtlinien (bisher Abschnitt A-III 5.4) gestrichen. Ferner wird in Abschnitt A-III, 6.12 ausgeführt, dass Anmelder aus der Volksrepublik China und Schweden von der Einreichung einer Kopie der Recherchenergebnisse nach Regel 141 (1) befreit sind.

Änderungen Teil B (Recherche), Teil C (verfahrensrechtliche Aspekte der Sachprüfung) und Teil D (Einspruchsverfahren und Beschränkungs- bzw. Widerrufsverfahren)

In den Teilen B-D wurden nur geringfügige Änderungen vorgenommen, die nicht weiter erörtert werden müssen.

Änderungen Teil E (Allgemeine Verfahrensfragen)

In Abschnitt E-III, 8.3.1 wurde die Praxis zur Überprüfung der Identität und der Bevollmächtigung der Teilnehmer an mündlichen Verhandlungen per Videokonferenz kommentiert. Für die Praxis könnte vor allem der neu hinzugefügte Teil relevant sein, gemäß dem Kopien von Ausweispapieren auch über die Online-Einreichungsmöglichkeiten des EPA bis spätestens zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung oder per E-Mail an die den Beteiligten zu Beginn der mündlichen Verhandlung mitgeteilte Adresse eingereicht werden können.

Ferner wurde das Kapitel E-VI weitgehend aktualisiert, das sich mit der Prüfung von Amts wegen durch das EPA, nicht rechtzeitig vorgetragenen Tatsachen, Beweismitteln oder Gründen sowie Einwendungen Dritter befasst. Hier wurden insbesondere umfangreiche Ergänzungen zu Abschnitt E-VI, 2.2 vorgenommen, der das Vorbringen zur Vorbereitung oder während der mündlichen Verhandlung betrifft. Im Einzelnen wird in Abschnitt E-VI, 2.2.1 das Thema der neuen Tatsachen und Beweismittel präzisiert. Dort wird klargestellt, dass Regel 116(1) EPÜ als Umsetzung von Art. 114(2) EPÜ eine Weiterentwicklung der bestehenden Rechtsprechung zu nicht rechtzeitig eingereichten Tatsachen oder Beweismitteln darstellt, dass es im Ermessen der Prüfungs- oder Einspruchsabteilung liegt, neue Tatsachen oder Beweismittel mit der Begründung außer Acht zu lassen, dass sie nach dem in der Ladung nach Regel 116 EPÜ angegebenen Datum eingereicht wurden, es sei denn, sie müssen zugelassen werden, weil sich der Gegenstand des Verfahrens geändert hat.

Auch die in Vorbereitung oder während der mündlichen Verhandlung eingereichten Änderungen werden in Abschnitt E-VI, 2.2.2 im Hinblick auf Regel 116(2) EPÜ kommentiert, gefolgt von einer Klarstellung der Grundsätze in Bezug auf die Ermessensausübung (Abschnitt 2.2.3), das Recht auf Anhörung (2.2.4) und die Kosten in Abschnitt 2.2.5.

Darüber hinaus wurde der Anwendungsbereich der Regel 134 EPÜ (Fristverlängerung) in Abschnitt E-VIII, 1.6.2.3 präzisiert und nunmehr werden ausdrücklich genannt: Die Frist für den Eintritt in die europäische Phase nach Regel 159 (1) EPÜ; die Einspruchsfrist nach Art. 99 (1) EPÜ oder die Fälligkeit der Jahresgebühren für eine Teilanmeldung und der Beginn der Viermonatsfrist nach Regel 51 (3) EPÜ (vgl. A-IV, 1.4.3), neben weiteren Fristen.

Änderungen Teil F (Europäische Patentanmeldung)

F-IV, 4.3 behandelt Unstimmigkeiten zwischen der Beschreibung und den Ansprüchen. Da die Aktualisierung der Richtlinien im Jahr 2021 strengere Anforderungen an die Anpassung der Beschreibung an die Ansprüche vor der Patenterteilung stellte, wurden bei der Aktualisierung im Jahr 2022 umfangreiche Rückmeldungen der Benutzer berücksichtigt. Infolgedessen wurden die Anforderungen an die Anpassung der Beschreibung an die Ansprüche nun gelockert. So ist es beispielsweise nicht mehr erforderlich, eine Ausführungsform aus der Beschreibung zu entfernen, die von den geänderten Ansprüchen nicht mehr erfasst wird. Alternativ müssen nur solche Gegenstände aus der Beschreibung gestrichen werden, die mit den Ansprüchen unvereinbar sind. Darüber hinaus wird in Grenzfällen, in denen Zweifel bestehen, ob eine Ausführungsform mit den Ansprüchen übereinstimmt, dem Anmelder der Vorteil des Zweifels eingeräumt.

Außerdem wird in Abschnitt F-IV, 4.7.1 beschrieben, wie Begriffe wie „etwa“, „ungefähr“ oder „im Wesentlichen“ zu interpretieren sind, um eine klare Beschreibung zu formulieren, die mit den Ansprüchen übereinstimmt.

In Abschnitt F-V, 3.2.4, wird ein neues Beispiel gegeben, das die fehlende Einheitlichkeit in Ansprüchen mit mehreren Abhängigkeiten beschreibt.

In Kapitel F-VI, das sich mit dem Thema Priorität befasst, wurde Abschnitt F-VI, 1.5 aktualisiert, indem die Lehre aus G 1/15 über Teilprioritäten integriert wurde. Eine „Teilpriorität“ bezieht sich auf eine Situation, in der nur ein Teil des von einem allgemeinen „ODER“-Anspruch umfassten Gegenstands Anspruch auf das Prioritätsdatum einer früheren Anmeldung hat https://www.epo.org/law-practice/legal-texts/official-journal/2017/09/a82.html). Die Überlegungen der Entscheidung G 1/15 gelten auch für die Frage, ob eine Anmeldung, deren Priorität in Anspruch genommen wird, die erste Anmeldung im Sinne von Art. 87 (1) EPÜ ist. Ebenso wird ein Beispiel gegeben, das die neue Rechtsprechung anwendet und beschreibt, ob ein Dokument Priorität genießt oder nicht.

Änderungen Teil G (Patentierbarkeit)

In Abschnitt G-II, 3.3.2 wurde das Thema der Ansprüche, die auf computerimplementierte Verfahren zur Simulation, Design und Modellierung gerichtet sind, umfassend aktualisiert, da die Entscheidung G 1/19 im Hinblick auf die Patentierbarkeit von computerimplementierten Simulationen eine große Rolle spielt (https://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/recent/g190001ex1.html).

Ansprüche, die auf Verfahren zur Simulation, zum Design oder zur Modellierung gerichtet sind, umfassen typischerweise Merkmale, die in die Kategorie der mathematischen Verfahren oder der Verfahren zur Ausführung geistiger Handlungen fallen. Daher kann der beanspruchte Gegenstand als Ganzes unter die Ausschlüsse der Patentierbarkeit gemäß Art. 52(2)(a)(c) und (3) EPÜ fallen.

In den aktualisierten Richtlinien wird jedoch klargestellt, dass Methoden, die zumindest teilweise computerimplementiert sind, zu einem beanspruchten Gegenstand führen können, der als Ganzes nicht mehr von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist. Die Richtlinien gehen hier auch näher auf die Beispiele Simulationen in Wechselwirkung mit der äußeren physikalischen Realität, rein numerische Simulationen, spezifische technische Umsetzung einer numerischen Simulation und die beabsichtigte technische Verwendung der berechneten numerischen Ausgangsdaten einer numerischen Simulation ein.

In Bezug auf einen Designprozess wird hinzugefügt, dass die genannten Grundsätze gleichermaßen gelten, wenn eine computerimplementierte Simulation als Teil eines Designprozess in Anspruch genommen wird.

In Kapitel G-VII, das sich mit der erfinderischen Tätigkeit befasst, wurde Abschnitt G-VII, 5.4, der sich mit dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz befasst, im Hinblick auf Ansprüche aktualisiert, die technische und nichttechnische Merkmale umfassen.

Es ist legitim, wenn in einem Anspruch eine Mischung aus technischen und nichttechnischen Merkmalen vorkommt (gemischte Erfindung), wie es bei computerimplementierten Erfindungen häufig der Fall ist. In der neuen Fassung der Leitlinien wird die Anwendung des P Aufgabe-Lösungs-Ansatzes auf gemischte Erfindungen in Anlehnung an den COMVIK-Ansatz dargelegt.

Außerdem werden in Abschnitt G-VII, 5.4.1 praktische Hinweise für die Formulierung der objektiven technischen Aufgabe bei Ansprüchen mit technischen und nichttechnischen Merkmalen gegeben. Beispiele für die Anwendung des COMVIK-Ansatzes auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz werden in Abschnitt G-VII, 5.4.2.5 gegeben.

Änderungen Teil H (Änderungen und Berichtigungen)

An der aktualisierten Fassung der Leitlinien wurden in diesem Teil keine wesentlichen Änderungen vorgenommen.

Zusammenfassung

Unserer Meinung nach sind die wichtigsten praktischen Aktualisierungen folgende:

  1. Computerimplementierte Simulationen, Designs oder Modellierungen sind nicht zwangsläufig von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, G1/19, COMVIK – G-II, 3.3.2
  2. Änderungen der Beschreibung sind (nur) dann erforderlich, wenn der Text mit den Ansprüchen unvereinbar ist – F-IV, 4.3
  3. Die Nennung des Erfinders kann das Land und die Adresse des Anmelders enthalten – A-III, 5.3
  4. Betrachtungen und Informationen bezgl. der Teilpriorität, G1/15 – F-VI,1.5
  5. Klarheit der Begriffe „etwa“, „ungefähr“ oder „im Wesentlichen“ – F-IV, 4.7.1
  6. Beispiel für fehlende Einheitlichkeit bei Ansprüchen mit mehreren Abhängigkeiten – F-V, 3.2.4
  7. Beispiele für die Verlängerung von Fristen, Regel 134 EPÜ (automatische Verlängerung) – E-VIII, 1.6.2.3