Patentierung des autonomen Fahrens – SDV: self-driving vehicles
Mit dem Trend der Digitalisierungstransformation tritt auch die Mobilitätsbranche mit vernetzten Fahrzeugen in den digitalisierten Innovationsmarkt ein. Zusammen mit der fortschrittlichen Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz, der schnell wachsenden Rechenleistung und Datenspeicherfähigkeit, entsteht eine hochmoderne Ära des Verkehrssektors mit intelligenten Mobilitätslösungen.
Smart Mobility beinhaltet zwei große Trends. Der erste Trend ist nämlich die Dekarbonisierung des Straßenverkehrs durch Innovationen bei nachhaltigen Antriebstechnologien und die Förderung von Elektrofahrzeugen. Der zweite große Trend ist der zunehmende Automatisierungsgrad hin zu vollständig selbstfahrenden Fahrzeugen (SDV), die der gesamten menschlichen Gesellschaft aus sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Sicht durch verbesserte Sicherheit, verringerte Verkehrsstaus und weit verbreitete öffentliche Verkehrsmittel einen erheblichen Mehrwert bringen Wartung, erhöhte Kraftstoffeffizienz und verringerte Umweltverschmutzung usw.
Laut einer Studie, die mit dem European Council for Automotive R&D (EUCAR) durchgeführt wurde, wurde festgestellt, dass die Patentanmeldungen beim Europäisches Patentamt (EPA) für automatisiertes Fahren von 2011 bis 2017 um 330 % gestiegen sind, verglichen mit 16 % über alle Technologien im gleichen Zeitraum . Und in den letzten zehn Jahren gingen beim EPA rund 18 000 Patentanmeldungen im Zusammenhang mit selbstfahrenden Fahrzeugen ein, davon fast 4 000 allein im Jahr 2017. Patentschutzstrategien im Bereich der selbstfahrenden Fahrzeugtechnologie, die die gemischten Merkmale der Kombination von IKT- und Automobiltechnologien aufweisen, ähneln eher denen im IKT-Sektor als denen in der traditionellen Automobilindustrie.
Zuordnung von SDV-Erfindungen zu Patentdaten
Angesichts von SDV decken die zunehmenden Patentanmeldungen beim EPA zwei Hauptsektoren von Innovationen ab:
- Automatisierte Fahrzeugplattform: zugrunde liegende Fahrzeughardware- und -softwaretechnologien in Bezug auf Wahrnehmung, Analyse und Entscheidung sowie Datenverarbeitung und Fahrzeughandhabung.
- Smart Environment: Technologien, die die Kommunikation und Interaktion zwischen den Fahrzeugen und der Umgebung sowie Smart Logistics ermöglichen.
Tabelle 1 unten zeigt im Detail die SDV-Erfindungen aus diesen beiden Hauptsektoren in verschiedenen Technologiefeldern und Beispiele der beteiligten Technologien.
Tabelle 1: Die Kartographie der SDV-Erfindungen (Quelle: EPO)
Laut der Patentstatistik, die auf Patentanmeldungen basiert, die beim EPA in SDV-Technologien eingereicht wurden, haben Unternehmen, die in den Bereichen Automobil, Transport oder verwandte Maschinen und Elektrogeräte tätig sind, die Hälfte dieser SDV-Patentanmeldungen eingereicht, während Unternehmen, die auf Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT für die Automobilindustrie) spezialisiert sind, reichten 32,8 % und Telekommunikationsunternehmen 13,6 % ein. Automobilunternehmen haben einen besonders hohen Anteil an Patentanmeldungen im Fahrzeughandling (mehr als 63 %) und starke Positionen in den Bereichen intelligente Logistik (48,7 %), Wahrnehmung, Analyse und Entscheidung (44,4 %). Automobil und IKT für Automobilunternehmen führen den Bereich Computertechnologie mit jeweils mehr als 30 % der Patentanmeldungen an. In Bezug auf die in SDV angewandte Kommunikationstechnologie wird sie von der IKT für die Automobilindustrie mit 42,6 % und der Telekommunikation mit 25,1 % dominiert.
Merkmale von SDV-Erfindungen
Erfindungen im Zusammenhang mit Software machen bis zu 50 % der Patentanmeldungen in Automobiltechnologien aus, insbesondere bei selbstfahrenden Fahrzeugen. Das EPA wendet den bestehenden Ansatz für computerimplementierte Erfindungen (CII) auf diese Innovationstechnologien im Zusammenhang mit selbstfahrenden Fahrzeugen an. Im Allgemeinen bezieht sich CII auf die Erfindungen, die die Verwendung eines Computers, eines Computernetzwerks oder einer anderen programmierbaren Vorrichtung umfassen, die normalerweise eine Mischung aus technischen und nichttechnischen Merkmalen umfasst. Ähnlich wie alle anderen Erfindungen müssen die computerimplementierten Erfindungen neu, erfinderisch und gewerblich anwendbar sein. Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern wurde ein als „Zwei-Hürden-Ansatz“ bezeichnetes Rahmenwerk zur Kontrolle computerimplementierter Erfindungen entwickelt.
Die erste Hürde betrifft die Patentfähigkeit, die erfüllt werden kann, wenn der beanspruchte Gegenstand mindestens ein technisches Merkmal umfasst und auf ein technisches Verfahren oder die interne Funktionsweise des Computerprogramms gerichtet ist, beispielsweise ein Verfahren zur Steuerung eines Antivirus -Lock-Bremssystem in einem Auto.
Die zweite Hürde bezieht sich auf die Patentierbarkeit bezogen auf die erfinderische Tätigkeit. Hinsichtlich der Förderfähigkeit wird keine Bewertung zum Stand der Technik vorgenommen. Dagegen dient der Stand der Technik hinsichtlich der Patentierbarkeit als Ausgangspunkt für die Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit der beanspruchten Erfindungen. Um erfinderisch zu sein, müssen sie technischen Charakter haben und ein technisches Problem auf neuartige und nicht naheliegende Weise lösen. Darin werden nur technische Merkmale im Falle einer Mischung aus nichttechnischen und technischen Merkmalen bewertet und die erfinderische Tätigkeit wird weiter mit dem CMOVIK-Ansatz bewertet.
In der Entscheidung G1/19 wurde der COMVIK-Ansatz etabliert und bestätigt, der eine spezielle Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes auf Erfindungen mit gemischten technischen und nichttechnischen Merkmalen darstellt. Gemäß dem COMVIK-Ansatz besteht der erste Schritt darin, alle Merkmale zu identifizieren, die zum technischen Charakter der Erfindung beitragen. Der zweite Schritt besteht darin, den nächstliegenden Stand der Technik zu identifizieren. Der dritte Schritt besteht darin, die vorliegende Anwendung und den nächstliegenden Stand der Technik zu unterscheiden. Basierend auf dem Unterschied werden diejenigen Merkmale, die technische Beiträge leisten und technische Effekte bringen, weiter identifiziert. Ist kein Unterschied erkennbar, wird die Anmeldung mangels Neuheit beanstandet. Wenn es einen Unterschied gibt, der aber keinen technischen Beitrag leistet, wird die Anmeldung wegen fehlender Erfindungshöhe zurückgewiesen. Anschließend wird weiter geprüft, ob die beanspruchte technische Lösung der objektiven technischen Aufgabe für den Fachmann als naheliegend angesehen wird. Ist dies nicht der Fall, wird davon ausgegangen, dass die Anmeldung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Fallstudien
- Im Fall T 2142/09 betrifft die Erfindung ein Verfahren und System zur Analyse von Verformungen in Kraftfahrzeugen. Der Beschwerdeführer argumentierte, dass der Verweis in der angefochtenen Entscheidung auf in Dokument D7 „implizit“ offenbarte Merkmale impliziere, dass die Prüfungsabteilung ihre Zurückweisung der vorliegenden Anmeldung auf nachträgliche Einsicht gestützt habe. Die Kammer erkennt an, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Antrags der Beschwerdeführerin neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ ist. Die Kammer stellt jedoch fest, dass die vorliegende Anmeldung keine spezielle Lehre für die automatische Implementierung einer Reihe von Funktionen offenbart, die im Wesentlichen aus dem Dokument D7 zum Stand der Technik bekannt sind. Ausgehend von der Lehre des Dokuments D7 wäre es für einen Fachmann naheliegend gewesen, vor die Aufgabe zu stellen, ein Verfahren zur Identifizierung, Analyse und Bewertung von Verformungen in Kraftfahrzeugen zu konzipieren, das nicht das direkte Eingreifen eines Sachverständigen erfordert bei einem Verfahren zum automatischen Durchführen einer Kombination von Schritten, wie sie in Anspruch 1 des Antrags der Beschwerdeführerin aufgeführt sind. Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht. Eine Erfindung kann als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend angesehen werden, wenn sie nach dem Stand der Technik für einen Fachmann nicht naheliegend ist.
- Im Fall T 1986/13 betrifft die Erfindung ein auf Augmented Reality basierendes System und Verfahren, das den Status und die Steuerung unbemannter Fahrzeuge bereitstellt. Diese Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, dieses Patent zurückzuweisen. D1 wird auf demselben technischen Gebiet betrachtet wie die Anmeldung, die sich auf ein Verfahren zum Identifizieren und Steuern eines ferngesteuerten unbemannten Hubschraubers zum Fliegen durch eine dreidimensionale Umgebung bezieht. Das von D1 ausgehende objektive technische Problem kann so formuliert werden, dass eine alternative Methode zur Kontrolle des Fahrzeugs bereitgestellt wird, wenn es aus Sicht der kontrollierenden Person sichtbar ist. D1 selbst liefert keinen Hinweis auf die beanspruchte Lösung. D1 schlägt keine anderen Möglichkeiten zur Steuerung des Fahrzeugs vor, als der steuernden Person eine Umgebungsansicht von der Position des Fahrzeugs und eine Karte als Orientierungshilfe bereitzustellen. Daher wird das beanspruchte Verfahren für den Fachmann nicht nur im Hinblick auf D1 naheliegend. D2 offenbart ein Verfahren, bei dem ein Bild eines Geräts erfasst und einer Person angezeigt wird. Ausgehend von D1 ergibt sich für den Fachmann kein Hinweis, eine Kombination mit dem in D2 beschriebenen Bekämpfungsverfahren in Erwägung zu ziehen. Daher würde der Fachmann unter Berücksichtigung von D1 und D2 in Kombination nicht zu dem beanspruchten Verfahren gelangen. Gleiches gilt für D3, das ein Verfahren zum Betreiben eines unbemannten Transportfahrzeugs offenbart. Da das Verfahren durch den verfügbaren Stand der Technik, repräsentiert durch D1, D2 und D3, allein oder in Kombination, nicht offensichtlich wird, erfüllt das Verfahren von Anspruch 1 somit die Anforderung des Artikels 56 EPÜ. Die Erfindung erfüllt somit Artikel 56 EPÜ.
- Im Fall T 2218/19 betrifft die streitige Erfindung ein System zur Erkennung von Fahrzeugen. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent in geänderter Form aufrechtzuerhalten. Die Einsprechende argumentierte, dass die beiden Unterscheidungsmerkmale nicht zu einer kombinierten technischen Wirkung führten und dass die von der Beschwerdegegnerin in ihrer Erwiderung vorgeschlagene technische Wirkung „nicht impliziert oder zumindest mit dem ursprünglich im angefochtenen Patent vorgeschlagenen technischen Problem nicht in Zusammenhang steht“. Die Beschwerdegegnerin argumentierte in ihrer Erwiderung in Bezug auf die technische Wirkung, dass die Unterscheidungsmerkmale „ermöglichen, ein ‚verletzendes‘ Kennzeichen zu erkennen und dann das Fahrzeug mit genau diesem Kennzeichen ordnungsgemäß, zuverlässig und genau zu identifizieren“. Die Unterscheidungsmerkmale lösten das Problem, „sicherzustellen, dass eine bestimmte Sanktion zuverlässig gegen ein Fahrzeug verhängt wird, das tatsächlich gegen eine Verkehrsregelung verstoßen hat, und nicht gegen ein ‚unschuldiges‘ Fahrzeug in der Nähe“. Die Kammer ist der Auffassung, dass die Unterscheidungsmerkmale unabhängige Probleme lösen. Bei einem der Merkmale stimmt die Kammer zu, dass der Fachmann angesichts des oben dargelegten Problems die aus dem Dokument des Standes der Technik bekannte SFM-Technik anwenden und zu diesem Merkmal gelangen würde, ohne eine erfinderische Tätigkeit auszuüben. Beim zweiten Merkmal stimmt die Kammer dem Beschwerdeführer jedoch zu, dass der Fachmann die im Jahr 2006 allgemein verfügbare Technologie nutzen würde, wie bessere Kameras, schnellere Computer und leistungsfähigere OCR-Programme. Dies würde jedoch nicht zu dem zweiten Merkmal führen. Daher wird der Gegenstand von Anspruch 1 als nicht naheliegend angesehen, was auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.
- Im Fall T 0595/16 betrifft die Streiterfindung ein Kontrollverfahren für die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Anmeldung zurückzuweisen, da die Anmeldung unter anderem nicht den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ entsprach. D4 wird als nächstliegender Stand der Technik angesehen. Die Beschwerdeführerin erläuterte, dass das Verfahren nach D4 im Vergleich zur vorliegenden Erfindung keine der Kontrollstelle entsprechende Einrichtung habe. Tatsächlich erwähnt D4 keine Kontrollen an Kontrollpunkten. Ein „Checkpoint“ ist jedoch kein Gerät, sondern ein Kontrollpunkt am Straßenrand, nämlich ein Ort, an dem Vollzugsbeamte stehen. Daher wird dieses Unterscheidungsmerkmal als nichttechnisch betrachtet. Denn die Prüfbedürftigkeit eines Fahrzeugs nach Anspruch 1 stellt keine technische Anforderung dar, sondern besteht lediglich aus betrieblichen Anweisungen an Prüfer, bestimmte Fahrzeuge einer mautpflichtigen Prüfung zu unterziehen. Daher kann kein technisches Problem identifiziert werden, das durch den Gegenstand des Anspruchs 1 gelöst wird. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
- Im Fall T 0772/18 betrifft die streitige Erfindung ein Verfahren zum Erfassen eines Bewegungsmerkmals eines Fahrzeugs. Ziel der Erfindung ist es, die Ursachen des Kraftstoffverbrauchs eines Fahrzeugs zu ermitteln. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Patentanmeldung gemäß Artikel 56 EPÜ wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückzuweisen. Der technische Charakter wurde von der Prüfungsabteilung nicht beanstandet und wird auch von der Kammer nicht in Frage gestellt. Die Kammer stimmt jedoch mit der Prüfungsabteilung darin überein, dass Anspruch 1 im Wesentlichen eine Bestimmung der Fahrzeugenergie auf der Grundlage physikalischer Prinzipien für ein aufgezeichnetes Geschwindigkeitsprofil eines Fahrzeugs darstellt, die aus D2 bekannt sind. Die Kammer stimmt mit dem Beschwerdeführer darin überein, dass D2 die Berechnung einer Referenzenergie und einer entsprechenden Kraftstoffverbrauchskenngröße nicht offenbart. Die bloße Berechnung einer solchen Kenngröße beinhaltet jedoch keine Rückmeldung an den Fahrer oder eine sonstige Ausgabe dieser Information. Das heißt, diese Informationen können in der Interaktion des Fahrers mit dem Fahrzeug keine Rolle spielen. Auch unter der Annahme eines solchen Feedbacks kann der Vorstand keinen technischen Effekt erkennen. Darüber hinaus enthalten die dem Fahrer angezeigten Informationen keine konkreten Anweisungen zum Führen des Fahrzeugs. Vielmehr hängt es auch von den Vorlieben des Fahrers ab, beispielsweise von der Wahl effizienterer oder weniger effizienter Gänge. Daher reicht dies nicht aus, um ein technisches Problem zu lösen. Daher stimmt die Kammer keiner technischen Wirkung nach Anspruch 1 zu, der daher nach Artikel 56 EPÜ als nicht erfinderisch gilt.
Zusammenfassung
Kurz gesagt, als aufstrebende Technologie, an der die meisten High-Tech-Unternehmen beteiligt sind, ähnelt die Patentierung von SDV-bezogenen Technologien im Wesentlichen den computerimplementierten Erfindungen beim EPA, die die Patentfähigkeit erfüllen sollen, indem sie einen Gegenstand definieren, der auf ein technisches Verfahren gerichtet ist oder das Verwendung technischer Mittel und Patentierbarkeit durch Identifizierung des zu lösenden technischen Problems und aller charakteristischen technischen Merkmale, die zur Lösung des identifizierten technischen Problems beitragen, zusammen mit dem erzielten technischen Effekt (weitere Einzelheiten finden Sie in einem anderen aktuellen Beitrag von uns, der sich mit der CII-Praxis befasst.)